LG München I v. 10.7.2025 - 43 O 18215/19
Ehemaliger Bankvorstand haftet für risikoreiche Geschäfte
Das LG München I hat ein ehemaliges Vorstandsmitglied einer in München ansässigen Bank zur Herausgabe/Zahlung von 1 Mio. € an den Kläger (hier: Insolvenzverwalter) verurteilt. Außerdem hat das Gericht festgestellt, dass der Beklagte sämtliche Schäden zu ersetzen hat, die der Bank aufgrund eines risikobehafteten Steuermodells im Zusammenhang mit durchgeführten Aktiengeschäften entstanden sind. Über das Vermögen der Bank wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.
Der Sachverhalt:
Die Bank hatte als Depotbank im Zeitraum zwischen April 2016 und Februar 2017 Dividenden und Dividendenkompensationsleistungen ohne Abzug von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag an eine gemeinnützige Gesellschaft ausgezahlt. Die Kapitalertragsteuer und der Solidaritätszuschlag hätten sich auf ca. 37,2 Mio. € belaufen. Die gemeinnützige Gesellschaft hatte (fremdfinanziert) über ihr bei der Bank geführtes Depot Aktien im Gesamtwert von ca. 3,8 Mrd. € erworben und jeweils für nur wenige Tage über den Dividendenstichtag gehalten. Insgesamt überwies die Bank ca. 141 Mio. € Dividenden und Dividendenkompensationsleistungen an die gemeinnützige Gesellschaft.
Das Finanzamt nahm die Bank deswegen in Haftung. Das daraufhin eingeleitete finanzgerichtliche Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Nach Erlass des Haftungsbescheides im März 2018 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Bank eröffnet worden.
Der klagende Insolvenzverwalter hatte geltend gemacht, die beiden ehemaligen Vorstandsmitglieder der Bank hätten sich über Bedenken der hauseigenen Compliance-Abteilung hinweggesetzt, das risikobehaftete Steuermodell durchgeführt und dadurch dem Vermögen der Bank geschadet. Der Beklagte habe dafür, dass er das Geschäft ermöglicht habe, über diverse ausländische Firmen eine Zahlung von 1 Mio. € erhalten, die die gemeinnützige Gesellschaft geleistet habe. Auch diese Zahlung müsse er an den Kläger herausgeben.
Das beklagte ehemalige Vorstandsmitglied ist der Auffassung, die Bank sei nicht verpflichtet gewesen, die auf die Dividenden entfallende Kapitalertragsteuer einzubehalten. Eine Entscheidung des BFH in einem ähnlich gelagerten Fall zeige indiziell, dass ihm ein Vorwurf nicht gemacht werden könne.
Über steuerrechtliche Fragen hat das LG nicht entschieden. Das Gericht hat sich jedoch mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Vorstand durch die Beteiligung der Bank an dem streitgegenständlichen Geschäftsmodell seine Sorgfaltspflichten aus dem Aktiengesetz verletzt habe und dies bejaht und daher das ehemalige Vorstandsmitglied zur Herausgabe/Zahlung von 1 Mio. € an den Kläger verurteilt. Außerdem hat der Beklagte sämtliche Schäden zu ersetzen, die der Bank aufgrund des risikobehafteten Steuermodells im Zusammenhang mit den durchgeführten Aktiengeschäften entstanden sind. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die Gründe:
Der Bank steht ein Schadensersatzanspruch gegen den eigenen Vorstand zu. Zwar gibt es keine Pflicht des Vorstands, niemals existenzgefährdende Risiken einzugehen. In dem zu entscheidenden Fall ist die Insolvenz der Bank jedoch aus objektiver Sicht zu wahrscheinlich gewesen, als dass der Vorstand dieses Risiko hätte eingehen dürfen. Auch für den Fall einer im Nachhinein günstigen Entscheidung des BFH ist bereits zum Zeitpunkt der Vornahme der Geschäfte absehbar gewesen, dass ein Haftungsbescheid des Finanzamts die Insolvenz der Bank herbeiführen würde. Auf das Ergebnis eines Rechtsgutachtens hätte sich der Vorstand insoweit nicht verlassen dürfen, da auch darin Restrisiken erkennbar waren. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des BFH Banken verpflichtet sind, bei bestehender Ungewissheit über die Rechtslage sicherheitshalber den Steuerabzug vorzunehmen.
Darüber hinaus ist der Beklagte auch verpflichtet, die im Zusammenhang mit den Geschäften erhaltene Zahlung von 1 Mio. € an die Bank herauszugeben.
Das hier zu Grunde liegende Steuermodell ist aus sog. „cum/cum“-Geschäften entwickelt worden. Es sieht vor, dass eine gemeinnützige Gesellschaft Aktien über den Dividendenstichtag erwirbt. In diesem Fall, so die zugrunde liegende Annahme, darf die Depot führende Bank als auszahlende Stelle die Dividende ohne Abzug von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag auszahlen. Um ein Steuermodell handelt es sich deshalb, weil die gemeinnützige Gesellschaft die Aktien jeweils nur für wenige Tage über den Dividendenstichtag erwirbt und danach sofort wieder veräußert. Während der Haltedauer sichert sie sich zudem gegen Kursrisiken durch Gegengeschäfte ab.
Das Finanzamt München und das FG München sind der Auffassung, dass die Bank die auf die dividendenbezogenen Zahlungen entfallende Kapitalertragsteuer samt Solidaritätszuschlag im Umfang von etwa 37,2 Mio. € hätte abführen müssen und für die Verletzung dieser Pflicht haftet. Insbesondere sei für die Bank klar erkennbar gewesen, dass die gemeinnützige Gesellschaft die Aktientransaktionen nicht im Rahmen ihres Satzungszwecks durchgeführt und damit gemeinnützigkeitsschädlich gehandelt habe.
Das Hauptsacheverfahren gegen den Haftungsbescheid ist noch nicht abgeschlossen. Es steht daher weiterhin nicht fest, ob die Bank endgültig für die Beträge haften muss. Im Zuge eines Parallelverfahrens betreffend die Vorauszahlung von Körperschaftsteuer hat der BFH mit Beschluss vom 4.3.2020 einer Beschwerde der dort involvierten gemeinnützigen Gesellschaft stattgegeben.
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